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Verfasst von Nicole Renggli, Inhaberin younique hr consulting  | Nicole Renggli | LinkedIn​​

Sie sitzt am Schreibtisch. Die Mails stapeln sich, der Blick springt von Task zu Task, während sie versucht, den Faden nicht zu verlieren. Zwei Nachrichten von Kolleg:innen – beide mit Fragen zu einem Projekt, für das sie offiziell gar nicht zuständig ist. Eigentlich. Aber sie ist es irgendwie doch. Weil sie es immer war. Weil sie es kann. Weil es sonst niemand macht. Und gleichzeitig ist da diese andere Kollegin, die sich für das Gleiche verantwortlich fühlt. Schon wieder gibt es eine Überschneidung. Schon wieder Missverständnisse. Schon wieder dieser stumme Ärger. Aber es wurde doch nie wirklich geklärt. Es wurde einfach gemacht. Irgendwann. Von irgendwem. Und jetzt ist da ein unterschwelliger Konflikt, der sich durch das ganze Team zieht. Niemand sagt es laut. Aber alle spüren: Etwas stimmt nicht.
 

Nicht jeder Konflikt zeigt sich im Streit. Manche Konflikte sind leise. Sie verstecken sich in höflichen E-Mails mit passiv-aggressiven Untertönen. In der genervten Art, wie jemand „Kein Problem, mach ich“ sagt. In der angespannten Atmosphäre, wenn zwei Kolleg:innen plötzlich nicht mehr miteinander sprechen. Unklare Rollenverteilungen erzeugen genau diese Art von Spannungen: subtil, aber dauerhaft. Nicht, weil Menschen unfähig sind, sich zu organisieren, sondern weil niemand zu Beginn wirklich darüber gesprochen hat, wer was macht. Oder weil es einmal geklärt wurde und sich dann einfach verändert hat, ohne dass es jemand bemerkt oder benannt hat.
 

Und das ist das eigentliche Problem: Wenn unklar ist, wer wofür verantwortlich ist, entsteht Raum für Interpretationen und Missverständnisse. Dann machen Menschen Aufgaben doppelt. Oder gar nicht. Dann fühlt sich jemand übergangen. Oder allein gelassen. Dann wird diskutiert, ob jemand „übergriffig“ oder einfach nur „hilfsbereit“ war. Dann geht es plötzlich nicht mehr nur um Aufgaben, sondern um Zugehörigkeit, Anerkennung, Einfluss. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein reines Organisationsproblem, ist in Wahrheit ein Beziehungsthema. Denn Rollen sind mehr als Aufgabenbeschreibungen. Sie sind eng verknüpft mit Identität, mit dem eigenen Platz im Team, mit dem Wunsch, gesehen und gebraucht zu werden.
 

Wenn ich nicht weiss, was mein Auftrag ist, wie kann ich dann sicher sein, ob ich ihn erfülle? Wenn ich nicht weiß, ob ich entscheiden darf, wie kann ich dann Verantwortung übernehmen? Wenn ich spüre, dass andere Dinge erwarten aber niemand sagt es, wie soll ich dann klar reagieren? Unklare Rollen erzeugen innere Spannungen. Man schwankt zwischen dem Wunsch, sich einzubringen, und der Angst, sich einzumischen. Zwischen dem Bedürfnis nach Klarheit und der Angst, als unbequem zu gelten. Man will es „richtig“ machen, weiss aber nicht, was das bedeutet. Und in dieser Unsicherheit entstehen die eigentlichen Konflikte – zuerst innen, dann außen.
 

In vielen Teams herrscht das stille Ideal: Wer engagiert ist, übernimmt einfach. Wer Verantwortung will, macht einfach. Doch Verantwortung lässt sich nicht voraussetzen. Sie muss bewusst verteilt werden. Und das geht nur im Dialog. Rollenklärung bedeutet nicht, Menschen in starre Kästchen zu pressen. Es bedeutet, bewusst zu machen, was oft unbewusst läuft. Es geht darum, Fragen zu stellen wie:

  • Wer ist eigentlich wirklich wofür zuständig?

  • Wer trifft Entscheidungen und wer nicht?

  • Wo gibt es Überschneidungen und sind sie gewollt?

  • Welche Rolle habe ich und passt sie (noch) zu mir?
     

Nur wenn diese Fragen Raum bekommen, können Spannungen weichen. Nicht, weil plötzlich alles perfekt ist. Sondern weil Klarheit immer auch Entlastung bedeutet.
 

In einem Team, in dem jeder weiss, was sein Beitrag ist und was nicht, entsteht Vertrauen. Nicht nur in die anderen, sondern auch in sich selbst. Dann wird Zusammenarbeit leicht, nicht weil sie konfliktfrei ist, sondern weil Konflikte sichtbar und ansprechbar werden. Denn am Ende geht es nicht darum, alles zu regeln. Es geht darum, gemeinsam hinzusehen. Und die Dinge zu benennen, die sonst zwischen den Zeilen mitschwingen. Erst wenn Rollen nicht nur gelebt, sondern auch geklärt werden, kann echte Zusammenarbeit entstehen. Nicht im Chaos. Sondern in bewusster Verbundenheit.

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